NEUE EVANGELISATION UND WELTWEITE GLOBALISIERUNG

Thema der Neuen Evangelisation ist die grosse Herausforderung, vor welche die Kirche und wir alle gestellt sind in einer Zeit der schnellen Veränderungen und ständig steigenden Anforderungen auf allen Gebieten. Wir schliessen uns der auf der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM) gemachten Aussagen, dass Gott "alle Völker dieser Erde zur Einheit aufruft" und - obwohl es scheint, als sei die Macht des Bösen stärker - das neue und endgültige Bündnis bereits geschlossen ist.

Anlass für die Herausforderung der Neuen Evangelisation ist die Globalisierung weltweit. Schlussfolgerung der Kofenrenz: für einige Menschen bedeutet Globalisierung Leben, Kreativität, Fortschritt und Verwirklichung, für einen Grossteil jedoch Egoismus, Frustration, Ausgrenzung und Tod (CELAM).

Nachstehend sind zwei Projekte unterschiedlicher Auffassungen erstellt worden, in die wir alle verwickelt sind. Zum einen handelt es sich um das Projekt "Evangelium", welches den Willen unseres Himmlischen Vaters verdeutlicht, dessen Wunsch es ist, dass alle Menschen glücklich sind und in Liebe seinen göttlichen Reichtum teilen. Andererseis gibt es das Projekt "Neoliberalismus, basierend auf Macht und wirtschaftlicher Überlegenheit.

Um uns mit diesen Projekten auseinandersetzen zu können, haben wir eine Übersicht erstellt, die die unterschiedlichen Auffassungen klar zum Ausdruck bringt.

PROJEKT "NEOLIBERALISMUS" 

PROJEKT "EVANGELIUM"

Es ist unschwer festzustellen, dass diese beiden Projekte sich im Grundsatz widersprechen und unterschiedliche Ziele haben, die Folgen jedoch sind universal, globalisierend. 

Das Projekt "Neoliberalismus" verkörpert den Herrenmenschen, der das Recht hat, mit der Schöpfung nach seinem Belieben und zu seinem Nutzen zu verfahren. Das Projekt "Evangelium" hingegen bekennt sich zum Dienst am Plan Gottes und ruft dazu auf, die Schöpfung so zu gestalten, dass alle Menschen in Würde leben können.

"Die grosse Herausforderung unserer Zeit ist es, die Globalisierung menschlicher zu gestalten und die Solidarität zu globalisieren" (Papst Johannes Paul II, April 2001 auf der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften).

KAPITALISMUS - FOLGE DES NEOLIBERALISMUS


Die industrielle und technische Revolution verfolgte Ziele, die den Menschen als Mittelpunkt der Schöpfung ausser Acht liessen, und der wissenschaftliche Fortschritt liess den Schöpfer aller Dinge in Vergessenheit geraten (Lt. Weisheit 13, 1-9). Das Ungleich-gewicht sowohl in Bezug auf die Erhaltung der Natur als auch die Ehrfurcht vor der Würde des Menschen wurde immer grösser. Die Zunahme der Armut inmitten des Reich-tums auf unserem Planten ist skandalös. Sowohl in den reichen Ländern, und mehr noch in den Armen, ist ein enormer Prozess der Entäusserung von Rechten und Gütern spürbar. Macht und Reichtum liegen in den Händen einiger weniger, und Armut und Elend nezhmen bei einer grossen Mehrheit der Bevölkerung zu.

Wir brauchen nicht näher darauf einzugehen, denn wir wissen es aus den Medien, welche Meister sind, mit Licht und Schatten der Realität zu spielen. Sie machen uns glauben, dass dies alles die natürliche Folge des Prozesses ist. "Eine instrumentale Rationalität ist festzustellen, die die Würde des Menschen nicht berücksichtigt. In Lateinamerika hört man oft, dass die Ausbildung der Kinder, die Gesundheit der alten Menschen und das Leben der Leute an sich sich angeblich nicht annehmbaren Forderungen einer wirtschaftlichen Rationalität unterordnen müssen, deren Verletzung zu noch grösseren Schäden an den Menschen führen würde. Angesichts dieser Behauptungen versuchen politische und wirtschaftliche Behörden - um keine anderen Entwicklungsalternativen in Gang setzen zu müssen - die Bürger zu überzeugen, dass diese Forderungen unvermeidbar sind. Sie behaupten ausserdem, dass sie nützlich und gut sind, obwohl wir heute wissen, dass diese Praktiken, langfristig gesehen, zu irreversiblen Schäden führen. Das Gleiche trifft für Entscheidungen zu, die getroffen werden, um zivile, politische, soziale und Arbeitsrechte zu beschneiden" (CELAM).

DIE NEUE EVANGELISATION IN LATEINAMERIKA 

Die Aussage der Neuen Evangelisation ist es, Christus zu bekennen und zu bezeugen und die brüderliche Gemeinschaft zu pflegen, um somit der Botschaft des "Guten Neuen" Evangeliums Glaubhaftigkeit zu verleihen. Sie verkündigt die "Verbindung und den Austausch zwischen dem Göttlichen und den Menschen in der göttlichen Person Jesus, 
sodass der Mensch von Gott angenommen wird und das Göttliche dem Menschen geschenkt wird" (CELAM). Die Neuheit besteht darin, die richtige Dimension des Menschlichen durch die Schwächsten wieder zu erlangen, d.h. Gott anerkennen bedeutet, ihn in seiner Schöpfung und vor allem in seinem Ebenbild den Menschen zu sehen.

Indem wir unsere Katholizität (Universalität) als Teil des Planes Gottes begreifen, durch dessen Fleischwerdung sein Reich allen Menschen ohne Ansehen der Person zugänglich ist, erkennen wir auch, dass eine grössere Bedeutung der Universalität in der Welt die Katholizität der Kirche fördert.

Angesichts des Globalisierungsprozesses nimmt die Kirche in Lateinamerika ihren Auftrag wieder auf und strebt eine "bevorzugte Option für die Armen" an. Sie ist sich bewusst, dass sie in ihren kirchlichen Strukturen den entarteten Dynamismus der Ausgliederung nicht wiederholen darf und daher so handeln muss, damit die Armen sich als geschätzte und geachtete Menschen fühlen. Sie stellt sich dem Projekt "Neoliberalismus" entgegen, welches die Würde des Menschen missachtet. Gleichzeitig beruft sie sich auf die Notwendigkeit der eigenen Umkehr, um die Dynamik wieder zu gewinnen, jeden Einzelnen, selbst den Schwächsten, zu schützen, verteidigen und zu schätzen, wie wir es von den ersten christlichen Gemeinden und von Jesus selbst gelernt haben.

"In unserer globalisierten Welt müssen wir die Kunst des Liebens wieder lernen" (CELAM) und eine Sensibilität für die Bewahrung der gesamten Schöpfung entwickeln. Dieser Prozess hatte schon mit dem II. Vatikanischen Konzil im Hinblick auf die Befreiungstheologie begonnen, die von der Hierarchie nicht verstanden und der Vergessenheit anheim gegeben wurde. Diese Theologie bewirkte jedoch eine Wieder-belebung des Evangeliums im Sinne einer Erneuerung der Gemeinschaft mit den Schwächsten.

Die Neue Evangelisation suchte Wege, die Kirche mittels der Medien in der Gesellschaft präsenter zu machen. Bei vielen Menschen weckte sie wieder den Durst nach Spiritualität, jedoch gelang es ihr nicht - abgesehen von einigen Ausnahmen - die Strukturen innerhalb der Kirche und das tägliche kirchliche Leben zu erneuern.

WO IST DEIN BRUDER ? (Gen. 4,9)

Dies ist die nachdrückliche Mahnung Gottes im Zeitalter der Globalisierung. Wenn wir den Weg der Neuen Evangelisation in Lateinamerika kritisch betrachten, stellen wir fest, dass der Kontext des religiösen Pluralismus zur Folge hatte, dass die Kraft Erneuerung sich Bewegungen anschloss, welche zur gleichen Zeit, wo sie eine neue Dynamik schufen und die Evangelisation vorantrieben, im Grundverständnis auch fundamentalistische Züge aufwiesen. Man hört viel von Jesus reden, aber von einer wirklichen Verpflichtung den Bedürftigen gegenüber spürt man sehr wenig. Es handelt sich eher um eine abgöttische Verehrung von Jesus als um die Schaffung von konkreten Handlungsmechanismen, um die Ausgrenzung der Schwachen zu überwinden.

Eine grosse Präsenz von Laien und das Entstehen von weltlichen Organisationen sind bei der Aktion "Neue Evangelisation" anzutreffen. Sie sind bestrebt, den unterschiedlichen sozialen Schichten das Evangelium zu verkündigen. Dadurch wächst die Gemeinde Gottes. Gleichzeitig ist aber auch ein gewisser Rückfall in alte Strukturen und eine Zentralisierung in der Hierarchie zu verzeichnen. Man würde es als "einen neuen Flicken auf einem alten Kleid" bezeichnen (Math. 9, 16). Andererseis handelt der Heilige Geist, wo er will und hat viele Organisationen ausserhalb der Kirche veranlasst, sich ebenfalls der Sache der Armen anzunehmen und gegen die skrupellose Ausbeutung unseres Planeten zu kämpfen.

Unter diesem Gesichtspunkt ruft die Kirche Lateinamerikas alle Christen dazu auf, "die Globalisierung menschlicher zu gestalten" durch Solidarität mit den Unterdrückten und im Glauben an Jesus Christus. "Für die Christen ist es eine Herausforderung zu zeigen, dass trotz Gewinnstreben und erbarmungslosem Wettbewerb in einem unkontrollierten Markt sich zwischen einzelnen Individuen und Ländern gemeinsame Werte der Zusammenarbeit, des Austausches, der Solidarität und Verantwortung entwickeln können". Ausserdem wird angeregt, "den Ländern der Dritten Welt" die Schulden zu erlassen, mit den Verantwortlichen in Wissenschaft und Technologie Gespräche aufzunehmen, den religiösen Sinn im aktuellen Kontext zu suchen und die Verbindungen zwischen Zugehörigkeit und Verantwortung aufzubauen.

Man sollte mehr Möglichkeit für die Ausbildung von Laien schaffen und ihnen Vertrauen vermitteln. Lebensräume sollten geschaffen werden, um wahre Erfahrungen mit Gott zu vertiefen, und die es erlauben, die Abhängikeit vom Religiösen zu überwinden und Beziehungen aufzubauen, um sich gegenseitig anzunehmen und den Reichtumg dieser Erde brüderlich miteinander zu teilen.

MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN

Seit dem Jahr 1981, dem Internationalen Jahr der Behinderten, hat sich viel verändert. Die Mehrheit der Länder verabschiedete Gesetze zu Gunsten der Behinderten. Viele Gesetze sind gut ausgearbeitet, werden jedoch in der Praxis kaum angewandt. Diese Gesetze sind das Ergebnis von Aktionen vieler Verbände und Vereinigungen, die sich auf ziviler und religiöser Ebene organisieren. Heutzutage nehmen Behinderte aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Die Tabus sind gebrochen, jedoch die paternalistische Mentalität des übermässigen Schutzes, die dazu führt, sie als "arme Bedürftige" abzustempeln, ist nur allzu gegenwärtig und führt zu Ausgrenzung. Ausserdem gibt est in Lateinamerika eine enorme Anzahl von Personen, die weder Rollstühle noch Blindenstöcke besitzen, wodurch ihnen die Fortbewegung erleichtert würde. Es sind viele Barrieren vorhanden, die nur langsam überwunden werden können.

Auch innerhalb der Kirchen gab es Veränderungen. Einige protestantische Kirchen richteten innerhalb ihrer Organisation Bereiche für Behinderte ein. Auch hat der Weltkirchenrat in Lateinamerika eine Bewegung ins Leben gerufen, um diese Konzepte auf ökumenische Basis zu erweitern, um so Diskriminierung und Ausgrenzung abzuschaffen. Die katholische Kirche meint, dass dieser Prozess zu langsam vorankommt. Papst Johannes Paul II. hat dies sehr deutlich in einigen Dokumenten (Christi Fidelis Laici, Salvifici Doloris...) zum Ausdruck gebracht und lädt Kranke und/oder Behinderte ein, aktiv zu sein, sowohl im eigenen Umfeld als auch in der Kirche. Jedoch scheint das Leiden aus theologischer Sicht alt und unüberwindbar, und die Lebensräume für eine effektive Teilnahme sind noch Theorie. Die Botschaft der Gesundheitspastorale ist eine Art Fürsorge und erkennt die evangelisierende Kraft der Kranken und/oder Behinderten nicht an. Die seelsorgerischen Massnahmen schliessen die Menschen mit Behinderungen nicht ein, ein Bereich, der in Vergessenheit geraten zu sein scheint.

Einige Länder haben eine besondere Katechese für geisitg Behinderte ausgearbeitet, die jedoch nicht von allen anerkannt wird. Dies trifft auch zu für Arbeit der Christlichen Fraternität der Kranken und/oder Behinderten, eine ökumenische Bewegung, die vom Vatikan anerkannt wird, und die in fast allen Ländern Lateinamerikas präsent ist. Es wird akzeptiert, dass Menschen sich organisieren und physisch vertreten sind, jedoch ist es schwierig, dass die Kirchen mit Rampen versehen werden, dass die Gruppen seelsorgerisch unterstützt und offiziell anerkannt werden. 

Wir sind uns bewusst, dass wir die Kirche, aber auch die Realität sind, d.h. falls es keine Integration gibt und eine Ausgrenzung besteht, so ist dies darauf zurückzuführen, dass wir unsere Aufgabe innerhalb der Gemeinschaft nicht richtig erfüllen und darauf warten, dass sich neue Möglichkeiten auftun. Die Evangelisation ist unsere Aufgabe, und wir werden es sein, die Veränderungen herbeiführen werden. Wir müssen unsere Selbstachtung wieder-herstellen und unsere Stellung organisierend einnehmen. Gewiss, die Kirche wäre ohne die Teilnahme der Behinderten nicht vollständig. In einer Zeit, wo Neoliberalismus und Globalisierung dominieren, brauchen die Kirchen und die Welt den freudigen Ruf und das lebendige Zeugnis derjenigen, die den Sinn des Lebens nicht in Produktion und Rentabilität sehen, sondern darin, die niedrigsten Dinge mit Liebe zu tun und unsere Nächsten glücklich zu machen. Die "Neuheit" des Evangeliums war, dass Gott uns gleich wurde, seinen Leib opferte und uns mit seinem Geist erfüllte. Diese "Neuheit" geschieht auch heute noch, indem wir uns anderer brüderlich annehmen.

Wir sind hier im Sinne der Christlichen Fraternität der Kranken und/oder Behinderten, teilen diese Gedanken und werden alles in Kräften der Fidaca stehende tun, um die Anerkennung aller Menschen in Kirche und Gesellschaft zu erreichen und unseren Beitrag an der Globalisierung der Solidarität zu leisten.


Fr. Nelson Junges, ofm
Juli 2003 

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